Auf welche Erfolge können die 15 Mitglieder der zweistärksten Fraktion im Zwickauer Kreistags zurückblicken? Was soll in den kommenden beiden Jahren noch erreicht werden? Auf diese Fragen antworten „Freie Wähler“-Fraktionsvorsitzende Dorothee Obst und „Freie Wähler“-Fraktionsgeschäftsführer Bernd Gerber im großen Interview zur Halbzeitbilanz, der auf fünf Jahre gewählte Kreistag Zwickau bald in seine zweite Halbzeit.

Für die „Freien Wähler“ im Landkreis Zwickau wird das Jahr 2021 immer mit dem Tod von Dr. Jesko Vogel, dem Oberbürgermeister von Limbach-Oberfrohna, verbunden sein. Wie geht es Ihnen heute, mehr als drei Monate nach dieser tragischen Nachricht?

Dorothee Obst: Der Tod von Dr. Jesko Vogel war für uns ein Schock und hat mich, hat uns alle in der Kreistagsfraktion persönlich tief getroffen. Er stand mitten im Leben, er hatte schon viel erreicht und wollte noch so viel mehr für seine Heimatstadt und die Menschen im Landkreis bewegen. Er hinterlässt eine riesige Lücke. Aber dieser politische, berufliche Teil ist doch vollkommen irrelevant, weil wir vermutlich nur in Ansätzen nachvollziehen können, wie es seiner Frau, seinen beiden Töchtern, seiner Familie und engsten Freunden gerade jetzt geht.

Bernd Gerber: Jesko war ein Macher, der seine Stadt, den Landkreis und uns als Fraktion geprägt hat. Er war über die Fraktionsgrenzen hinaus und auch in der Verwaltung anerkannt, selbst dann, wenn es Unterschiede in der Bewertung von bestimmten Situationen gab. Die Gespräche mit ihm waren immer von tiefem Fachwissen geprägt, damit hat er sich bei vielen Menschen Sympathien und Respekt erworben.

 

Sie sprachen von der Lücke, die er hinterlässt. Wird sich die jemals füllen lassen?

Bernd Gerber: Nein, darum geht es uns aber auch gar nicht. Wir haben mit Daniel Polster ein neues Mitglied aus Limbach-Oberfrohna in die Fraktion aufgenommen. Er ist jung. Er hat einen anderen Blick auf bestimmte Themen. Er wird ganz eigene, andere Akzente setzen wird. Das ist der eine Punkt. Jesko war ein Macher. Er hat bei den „Freien Wählern“ in Limbach-Oberfrohna sehr viel koordiniert. Doch jetzt sehen wir dort eine engagierte Truppe, die gerade mit sehr viel Herzblut und persönlichem Einsatz den Wahlkampf für eine Oberbürgermeisterwahl führt. Diese Frauen und Männer schweißt auch das Gedenken an Jesko zusammen. Sie agieren als Team und lassen sich immer von dem Gedanken tragen, was Jesko getan, was er sich gewünscht hätte. Ich hoffe, dass diese Gemeinschaft in dieser Form noch lange gemeinsam agiert.

Dorothee Obst: Das Beispiel zeigt auch, dass wir „Freien Wähler“ mehr sind als nur viele Einzelinteressen, wie es ein anderer Fraktionschef jüngst formulierte. Aber es ist richtig: Wir sind keine Partei. Wir sind keine homogene Gruppe, in der sich der eine oder andere im Interesse der Parteidisziplin mehr oder weniger verbiegen muss. Wir sind unabhängig von Weisungen von oben. Wir können unterschiedliche Standpunkte auch offen besprechen. Das ist für uns ein Zeichen von Transparenz, die wir ja immer wieder auch vom Landrat und der Landkreisverwaltung fordern. Unsere Unabhängigkeit als Kreistagsfraktion hat für uns den großen Vorteil, dass wir wirklich die Interessen der Bürgerinnen und Bürger vor Ort in den Fokus nehmen und Entscheidungen zu ihrem Wohl treffen können.

 

Sie sprachen die Transparenz an. Was stört Sie da am Landkreis, am Landrat?

Dorothee Obst: In der Landkreisverwaltung arbeiten kompetente Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Es gelingt aber der Landkreisspitze leider noch viel zu wenig, diese Kompetenz transparent zu machen. Ein Beispiel: Im Jugendhilfeausschuss sollten wir im November aufgrund einer Prioritätenliste, die das Jugendamt erstellt hatte, Gelder für 24 Vereine, Projekte, Träger verteilen. Allerdings konnte uns niemand sagen, nach welchen Gesichtspunkten die Prioritätenliste erstellt worden war. Die Einschätzung der Freien Träger fehlte komplett. Also haben wir die Prioritätenliste gekippt und verteilen die zur Verfügung stehenden Mittel jetzt per Entscheidung der Mitglieder des Jugendhilfeausschusses ganz demokratisch. Wir haben also die Fachkompetenz der Verwaltung mit der Fachkompetenz der Mitglieder des Jugendhilfeausschusses verknüpft. So geht moderne, transparente und an den Interessen der Bürgerinnen und Bürger ausgerichtete Politik heute.

Bernd Gerber: Wir fordern die Transparenz ja nicht erst seit heute vom Landrat und der Landkreisverwaltung. Die Zeiten, in denen ein Landrat agieren konnte wie ein kleiner König, sind in Sachsen jetzt endgültig vorbei. Ich freue mich, dass sich diese Einschätzung mittlerweile auch bei den anderen Fraktionen im Kreistag Zwickau durchsetzt. Ein Landrat muss, wie alle anderen Politiker auch, den Menschen seine Entscheidungen immer ganz genau erklären. Er muss bei Konflikten moderieren. Er muss vor Ort sein, Präsenz zeigen, vor allem auch in schwierigen Zeiten. Und er muss die Menschen mitnehmen. Politik gegen die Menschen stärkt leider immer nur die radikalen Ränder.

 

Wenn Sie zurückblicken: Was war Ihr größter politischer Erfolg im Kreistag?

Dorothee Obst: Ganz klar die letzten Haushaltsverhandlungen. Wir wurden dafür gescholten, dass wir dem Plan des Landrates nicht folgen und die Kreisumlage nicht erhöhen wollten. Das hätte noch mehr Geld aus den Städten und Gemeinden Richtung Landkreis abgezweigt und die Handlungsfähigkeit der Kommunen vor Ort weiter beschnitten. Am Ende wurde die Kreisumlage auf unseren Antrag hin nicht erhöht. Das vom Landrat an die Wand gemalte Horrorszenario einer finanziellen Handlungsunfähigkeit der Landkreisverwaltung trat nicht ein. Das Gegenteil war der Fall: Der Landkreis hat sogar ein Plus erwirtschaftet und die Kommunen konnten mehr Ausgaben nach ihren eigenen Vorstellungen realisieren.

 

Vor welchen Herausforderungen steht der Landkreis in den kommenden Jahren?

Bernd Gerber: Ganz oben steht natürlich die Bewältigung der Coronakrise, die uns meiner Einschätzung nach auch in den kommenden Jahren noch beschäftigen wird. Wie stark, das hängt sicher auch davon ab, welche Varianten des Virus in der Folge noch auftreten. Leider wird sich auch in den kommenden Jahren erst zeigen, welche Folgen der Virus für die Menschen, Unternehmen und Sport- und Kultureinrichtungen in unserem Landkreis hat – und welche Kosten da auf den Landkreis, die Gesellschaft als Ganzes noch zukommen werden. Mein persönlicher Wunsch, meine persönliche Hoffnung ist es, dass wir die eingetretene Spaltung der Gesellschaft überwinden.

Dorothee Obst: Mich beschäftigt darüber hinaus das Thema Überalterung. Im gesamten Landkreis haben wir mit rückläufigen Einwohnerzahlen zu kämpfen. Wir brauchen tragfähige Konzepte, wie wir zukünftig mit weniger Einwohnern das gesellschaftliche Leben organisieren können. Und wir müssen sehen, wie wir die höhere Zahl an Sterbefällen im Vergleich zu Geburten ausgleichen können, etwa durch Zuzüge. Wenn der Landkreis sich mit seinen Stärken attraktiv vermarktet, dann werden wir nicht nur Ansiedlungen von Unternehmen und in deren Folge auch Zuzüge von Menschen sehen. Das wiederum sichert dem Landkreis die Einnahmen, um die freiwilligen Ausgaben zum Beispiel im Jugendbereich auf dem jetzigen Niveau zu halten oder sogar zu steigern.

 

Dreh- und Angelpunkt aller Einnahmen und Ausgaben des Landkreises ist die Wirtschaft. Nur wenn die floriert, sprudeln die Steuereinnahmen. Doch gerade in diesem Bereich sehen Sie viele Baustellen.

Dorothee Obst: Ja, der Landrat hat es leider verpasst, in der Verwaltung eine schlagkräftige Wirtschaftsförderung aufzubauen. In diesem Bereich haben uns die Landkreise um uns herum deutlich abgehängt. Die Kritik geht auch gar nicht in Richtung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die dort eine gute Arbeit machen. Wir dürfen uns aber nicht darauf verlassen, dass der Motor der sächsischen Wirtschaft weiter brummt. Das Amt muss daher personell breiter aufgestellt werden. Wir brauchen einen Schub im Bereich der Digitalisierung. Die Verwaltung muss auch Lösungen für den Fachkräftemangel anbieten, der den kleinen Handwerker vor Ort noch viel schlimmer trifft als ein global agierendes Unternehmen. Mit einer guten Fachkräftestrategie könnte man auch dem Lehrermangel oder dem Ärztemangel im ländlichen Raum etwas entgegensetzen. Da werden die Potenziale, die unser Landkreis bietet, leider im Moment brach liegengelassen.